75 Jahre Fachverband


Mag es ein Ausfluss des damaligen Kulturkampfes zwischen Staat und Kirche gewesen sein oder nicht, die Zeit war 1875 nach langen Verhandlungen reif, die Eingehung der Ehe, die Beurkundung des Personenstandes und die Erledigung aller damit im Zusammenhang stehenden Aufgaben einem öffentlichen Organ zu übertragen. Das damalige Deutsche Reich entledigte sich auf einfache Weise dieser Aufgabe, erließ am 6. Februar 1875 das Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung und übertrug diese Aufgabe den Bürgermeistern als Standesbeamte. Damit war staatlicherseits auch schon alles getan. Man kümmerte sich zwar darum, wie das „Amtslocal“ ausgestattet sein sollte, nicht aber um die Ausbildung der Standesbeamten und ihre Vorbereitung auf diese auch damals nicht leichte Aufgabe.

 

 

 

 

Auch in der damaligen Zeit gab es umwälzende Veränderungen, man denke nur an das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900, in dem auch das Eherecht enthalten war. Die Standesbeamten halfen sich selbst, trafen sich aus der Not heraus bei sog. „standesamtlichen Konferenzen“ um sich das erforderliche Fachwissen zu verschaffen und hatten eine auf hohem Niveau erscheinende Fachzeitschrift.

 

Ob bereits vor dem Ersten Weltkrieg Tendenzen zur Gründung eines Fachverbandes vorhanden waren, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Die Materie wurde jedoch immer schwieriger und nach dem Krieg war es dann unausweichlich geworden, dass die Standesbeamten für ihre Aus- und Fortbildung einen Zweckverband schufen, der diese Aufgabe übernahm. Die Münchener Standesbeamten riefen daher zu Beginn des Jahres 1922 zum Zusammenschluss der bayerischen Standesbeamten auf. Direktor Sixtus Schorr vom Standesamt I München berief eine Versammlung nach Nürnberg ein und so wurde am 6. August 1922 der „Bayerische Landesverband der Standesbeamten e.V.“ gegründet. 1. Vorsitzender wurde damals der Standesbeamte Bräu vom Standesamt III München.

 

Damit hätte unser Fachverband also bereits im Jahr 2022 sein einhundertjähriges Jubiläum feiern können. Auch wenn in der NS-Zeit die Landesverbände der Standesbeamten nach 1933 formell weiterbestanden, wurden sie doch „gleichgeschaltet“ und waren keine selbstständigen Verbände im Rechtssinne mehr. Ein eigenständiges Verbandsleben existierte nicht mehr.

 

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mussten auf Anordnung der Besatzungsmächte Vereine und Verbände, und damit auch der Fachverband der Standesbeamten unter strengen Auflagen neu zugelassen werden. Zunächst musste jemand gefunden werden, der bereit und in der Lage war, die Neugründung des Verbandes in die Wege zu leiten und der die von der Militärregierung gestellten Bedingungen erfüllte. Dazu stand Direktor Sixtus Schorr vom Standesamt I München zur Verfügung, dem schon damals seit Jahrzehnten das Wohl der Standesbeamten besonders ans Herz gewachsen war. Schorr verfügte über ein ausgezeichnetes Fachwissen und kannte aus der Zeit vor dem Krieg noch viele Standesbeamte. Für den 8. Februar 1948 lud er zur Gründungversammlung ein, zu der 24 Standesbeamte aus den Standesämtern München, Haar, Olching, Regensburg, Rosenheim und Augsburg kamen.

 

In der Gründungsversammlung wurde Direktor Schorr einstimmig zum 1. Vorsitzenden gewählt und die von ihm vorbereitete Satzung genehmigt. Auf dieser Grundlage konnte beim Bayerischen Staatsministerium des Innern formell um die Genehmigung der Verbandsgründung nachgesucht werden welche mit Zulassungsbescheid vom 2. Juni 1948 unter strengen Auflagen erging. Nach der Anmeldung beim Registergericht München am 21. Juli 1948 konnte schließlich an die eigentliche Verbandsarbeit – die Aus- und Fortbildung der Standesbeamten – herangegangen werden.

 

Aus: 50 Jahre Fachverband der bayerischen Standesbeamten e.V., Geschichtlicher Überblick von Regierungsdirektor a.D. August Simader, Grasbrunn